http://www.schweizamsonntag.ch/ressort/kultur/pedro_lenz_zur_svp-_initiative_es_si_nume_di_angere_gmeint/
Der Begriff der Masse ist ein Sprachtheoretisches Problem. (Wann wird aus ein paar Sandkörnern ein Sandhaufen?)
Wir kennen Segura, Kujanii und Crisante, spätestens die Freunde ihrer Freunde kennen wir nicht mehr. Kein Einzelner kann eine Masse bilden, da kann er sich anstrengen wie er will. Auch kann sich der Einzelne der Masse nicht entziehen, wenn er ungewollt hinein gerät. Die Masse hat, da unüberschaubar, die Tendenz, Angst einzujagen. Im Falle einer Massenhysterie begreiflich.
Menschen als Masse zu beschreiben, ist rein begriffstheoretisch nicht verwerflich. Die abgemilderte Form der Masse wäre die Gruppe. Die Gruppe aber suggeriert eine Zugehörigkeit. Also kann man leider bei der Einwanderung nicht von Gruppeneinwanderung sprechen, da die anonyme Masse nun mal nicht als Gruppe organisiert ist. Die Anderen sind Deutsche, Spanier, Italiener, Griechen, also einfach alle, die das Pech haben, dass ihre Ambition in der Schweiz Arbeit zu suchen, mit den Ambitionen anderer, mit denen sie genau so wenig zu tun haben, zusammentrifft. Rein formal kann aus diesem Vorgang kein Rassismus entstehen.
Dieses bunte Begriffsdurcheinander macht sich die EU natürlich zu nutzen. Der EU-Bürger soll ja eben gerade nicht mehr als Deutscher, als Spanier etc auftreten, sondern als Teil einer Masse.
Während ich in Asien mehr Europäerin als Schweizerin bin, und erst dann eine Frau, bin ich als Schweizer Bürgerin in der Schweiz zuerst eine Frau, und möchte mich niemals als Europäerin bezeichnen, da Europäerin in der politischen Landschaft EU-Bürgschaft suggeriert. Aber kein Schweizer ist EU-Bürger, sofern er kein Doppelbürger ist.
Der EU-Bürger hat also keine nationale Identität mehr zu haben und hat sich mit dem „mutigen Experiment zur Friedenssicherung“ zu identifizieren. Das einzige Problem dabei ist, dass der EU-Bürger in diesem Friedenssicherungsexperiment kein Mitspracherecht hat. Wie auch, EU-Recht steht über dem Recht der souveränen Staaten.
Will Pablo von seiner Regierung wissen, was sie für ihr Volk tut, schliesslich kann er seine Familie nicht mehr ernähren, ihm droht die Zwangsräumung, bekommt er als Antwort eine Tracht Prügel. Prügel dient schliesslich dem Frieden. Die Aufstände müssen niedergeknüppelt werden, sonst kommt es zu einer blutigen Revolution. Nun, Pablo ist ja nicht blöd. Pablo weiss doch, wann die Misere angefangen hat. Als Schreiner weiss er, dass seine Produkte seit dem Euro nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Leute sind nun mal so, dass sie das günstigere Produkt kaufen, warum das Doppelte bezahlen, wenn es günstiger geht.
Jetzt hat aber auch der Schweizer Angst vor Pablo. Denn Pablo wird die gleiche Arbeit für weniger Geld erledigen, schliesslich hat er eine Familie zu ernähren. Dadurch sorgt die Personenfreizügigkeit für Frieden; Pablo wird nun in Spanien nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen. Auch seine Frau wird es unterlassen, schliesslich muss sich jemand um die Kinder kümmern. Pablo, der weiss, welches Spiel gespielt wird, wird sich aber auch in der Schweiz nicht dafür einsetzen, dass die EU das Freihandelsabkommen mit den USA nicht unterzeichnet. Er ist mit den politischen Strukturen in der Schweiz nicht vertraut, noch hat er keine Freunde, spricht kaum Deutsch. Er ist bloss froh, wenn er seine Familie ernähren kann.
Für Studierende in der Schweiz sieht die Situation folgendermassen aus: Wer während seines Studiums keine qualifizierende Berufserfahrung sammelt, dem gerät der Berufseinstieg schwer, wenn er überhaupt noch gelingt. Studierende werden davor gewarnt, ihr Studium im Billiglohnsektor, beispielsweise als Servicekraft, zusammen mit Pablos Cousine, zu verdienen, auch wenn die Arbeitszeiten verlockend sind. Das Praktikum im Fachbereich, also die qualifizierende Berufserfahrung, wird jedoch nicht in allen Branchen gerecht entlohnt oder anders gesagt, nur in den wirtschaftsnahen. (Ein Praktikum bei Nestlé ist eine gute Sache!) Die Doppelbelastung oder Dreifachbelastung, wenn der Studierende neben dem Studium auch noch sein Praktikum finanzieren muss oder wenn ihm Nestlé alles abverlangt und kein Platz mehr für die Reflexion der Studieninhalte mehr bleibt, hält ihn natürlich ebenso aus der Politik fern wie Pablo. Während Pablo bloss ein Arbeitnehmer im Billiglohnsektor ist, tragen unsere fleissigen und aufgeschlossenen Studierenden den Titel: Generation Y.
An Universitäten steht nicht mehr Bildung auf dem Programm, sondern das Konkurrieren auf einem umkämpften Arbeitsmarkt. Die Konkurrenz ist international, die Freundschaften auch, zumindest bis zum Bachelorabschluss. Oder Master, wer durchhält.
Als hochqualifizierte Arbeitskraft geniesst der Expat die Personenfreizügigkeit natürlich in vollen Zügen. Endlich hat er es geschafft. Endlich arbeitet auch er für die grossen Konzerne. Und schon bald gehört auch er zu den GANZ GROSSEN.