When I loose my sadness

Dancing with myself

 

Ich gehe dahin, wo ich mich selber finde, zwischen Beton und Schneeflocken, die in Kinderhänden verschwinden. Auf diesem unsichtbaren Tränenstausee auf dem schwarze Schwäne ihre Hälse recken, will ich meine Bahnen ziehen, an den Staudämmen der Konsumtempel vorbei, in denen die Trostpäpste des Luxus‘ die Ablasszahlungen ihrer Kunden analysieren.

 

Ich will von der Traurigkeit kosten, um mich selber wieder zu spüren in den unendlichen Schneefeldern der Vergeblichkeit, wo Hoffnungslosigkeit und Liebe dasselbe sind. Ich brauche ein Resonanzbecken für meine Eitelkeit, die mich immer noch antreibt, besser sein zu wollen, als ich von Natur aus bin, für meine Arroganz, die sich immer wieder vor Gott aufbäumt und gebieterisch um dieses und jenes bittet, meist um kleine Vergnügungen, eigennützig bis zum geht nicht mehr, ein Abenteuer, Schokolade und eine neue Handtasche für unnützen Ballast. Warum sollten meine Begierden erhabener sein als die der Masse?

 

Ich folge den weissen Linien am Boden, welche die Blinden führen. Dabei wird mir ganz schwindelig. Was, wenn ich den Bezug zur Welt verliere? Auf der Reise dachte ich ans Nirgendwo. Nirgendwo ist der Ort, wo alle nicht gelebten Handlungsstränge wieder aufgenommen werden. Im Nirgendwo bin ich bei der Securitas. Im Nirgendwo bin ich bei den Roma. Im Nirgendwo bin ich bei einem Mopedunfall in Thailand ums Leben gekommen, und längst wiedergeboren worden.

 

Meine Moon Boots sind viel zu warm für die Stadt. Die Januarsonne schwadroniert bereits etwas von Frühling. Erstaunt blicke ich in die Gesichter der Stadtmenschen, die wider Erwarten keine Hektik verraten. Habe ich den richtigen Ausgang erwischt, Zürich HB Januar 2022? Die Städter taxieren mich freundlich, ich könnte sie sogar ansprechen, würde mir was einfallen. Aber in dieser Stadt ist mir noch nie etwas eingefallen. Es ist die Stadt der negativen Einfälle, sie löscht die aufkeimenden Ideen bereits im Unterbewusstsein. Das sanfte Licht und die potentielle Erreichbarkeit der Menschen, die neue Ruhe in den Gesten, Gesprächsfetzen aus Coaching-Büchern überraschen mich. Maskierte Primarschüler gehen gestikulierend an mir vorbei.

 

In einem veganen Restaurant bestelle ich mir eine Quinoa Bowl. Auf dem Weg zur Toilette blicke ich durch ein vergittertes Fenster in einen Innenhof. Auf einer Bank sitzt ein Obdachloser und dreht sich vornübergebeugt einen Joint.

 

Am Quai, wo man früher problemlos Anleitungen zum Weinen erwerben konnte, sitzen die Menschen bei vier Grad draussen in den Cafés und hängen ihren optimierten Gedanken nach, glücklich, dass die Welt nicht aufgehört hat, zu sein. Sie trinken Kaffee und Apérol und scheinen nicht zu bemerken, dass etwas anders ist, dass ein zuverlässiger Begleiter sie verlassen hat.

 

 

Der Schmerz ist weg.

Der Stausee ist ausgetrocknet.

Die Konsumtempel sind nur noch Kulissen.

 

 

Um etwas Ewigkeit zu atmen, gehe ich ins Kunsthaus. Ich betrachte Hodlers „Wahrheit“, in dessen Zentrum eine nackte Frau steht, die ihre Arme gen Himmel zum Gebet ausstreckt, die Handflächen aber dem Betrachter zugewandt, als wollte sie ihn warnen. Sie ist umgeben von sechs Männern, die sich von ihr abwenden, und die versuchen, ihre Gesichter und ihre Nacktheit mit einem schwarzen Tuch zu bedecken.