Insel des Verstehens

Neolatin – LiteraturA Nairs

 

Ich muss mich aussetzen der fremden Sprache – wie dem Regen, den ich erst verstehe, wenn ich riskiere, nass zu werden, wenn er mich ganz umfasst und durchdringt und ich plötzlich Teil bin von der einen Natur.

 

Ich muss mich aussetzen den Gesichtern mit ihren Geschichten, bis auch ich in ihren Augen zu einer von ihnen und damit eine andere werde.

Ich muss die Angst überwinden, rauszufallen aus einem Sprachspiel, weil ich mit meinen eigenen Wörtern beschäftigt bin. Ich kann das Eigene ins Fremde werfen. Ich kann das Fremde in mich hinein sinken lassen, bis die Grenzen verschwimmen.

 

Ich kann da sein als Zeugin, alleine mit meinem Ohr, das mir aus meinem Herz entwächst.

Ich bin bloss eine Muschel am endlosen Strand des Lauschens, das beständige Wechselspiel von Ebbe und Flut registrierend, während ich selbst ein- und ausatme. Ich bin das Rauschen meines Blutes, im Strom des Horchens zu Hause, ich warte auf die Insel am Horizont, die Insel der Laute, des Sinns und Verstehens.

 

Es ist das Verstehen-Wollen, das einen daran hindert, eine neue Sprache zu sprechen, denn das Sprechen kommt vor dem Verstehen und das Verstehen kommt manchmal – nie.

Im Bestreben verstehen zu wollen, bleibe ich ewig eine Suchende, denn der Sprachfluss versiegt nicht. Auf jede beantwortete Frage folgt eine nächste.

 

Die Fragen sind der Puls einer Sprache. So bleibt Sprache lebendig, so wird Sprache das, was sie ist, ein Spiel, das nie zu Ende gespielt ist. Ein Spiel ohne Gewinner und Verlierer.

Verlust erleidet nur derjenige, der aufhört zu sprechen, der langsam aussteigt aus dem Rauschen der Laute zugunsten der Stille, die nicht fragt, ob sie sein darf, weil sie einfach ist, unteilbar und ewig.