Zufriedenheitsinspektion

Eben war es noch da, und ich in ihm. Ich war weit, Hirn und Körper und Welt. Und jetzt vor dem Computer schrumpfe ich wieder zu einem Wesen zusammen, das mit seinen zwei Händen etwas in eine Maschine tippt, von dem es glaubt, es seien seine Gedanken. Vielleicht verhält es sich aber auch so, dass das leere Dokument einem lediglich vor Augen führt, dass doch nicht so viel im Kopf ist, wie man gemeint hat. Die Gedanken im Kopf fühlen sich anders an, als die niedergeschriebenen Sätze. Als ob es anders sein könnte: Die Wolken sind ja auch etwas anderes als der Regen und der Regen ist etwas anderes als der Regentropf, der einem den Nasenrücken hinunter rinnt.

Die Sonntagsspaziergänge werden mir immer wie lieber, nachdem ich ungefähr zwanzig Jahre mit selbigen pausiert habe. Ein Zweijähriger marschiert wie ein Soldat und wird dafür von seinen Eltern gelobt. Gespannt beobachte ich das feierliche Alltagsglück; die Väter legen sich ins Zeug, die Mütter gehen still neben Mann und Kind her, dankbar, einmal nichts tun zu müssen. Ein anderes Paar dreht sich um seine neue Sonne. Sie klatschen und ihnen wird schwindelig dabei, bis die Sonne hinfällt und weint.

Schon dämmert es, und die Krähen sammeln sich in den Wipfeln. Ich muss an Edward Snowden denken, wie er sich in Hong Kong darauf vorbereitet, das Hotelzimmer zu verlassen, nachdem sein Gesicht auf allen Kanälen weltweit zu sehen war. Er rasiert sich, setzt seine Kontaktlinsen ein, verteilt Gel im Haar. Dann spannt er vor dem Spiegel einen grünen Regenschirm auf und sagt: „No, that makes it even worse.“

Ich gehe an den nun erleuchteten Fenstern vorbei. Sie versprühen die Atmosphäre von Rhythmus, von Ordnung und gleichförmigen Gedanken, von Vorabendserien und dem Krimi am Sonntag, von Wäsche, die bereits für den nächsten Tag rausgelegt wird, um den Start in die neue Woche zu erleichtern. Die „Du-Schatz-Gespräche“ bekommen eine Beiläufigkeit, da der andere ohnehin anwesend ist, auch wenn er nur „hmm hmmm“ sagt, und bei diesem Wochentag, in dieser Jahreszeit auch nicht mehr auf die Idee kommt, irgendwo hin zu gehen oder mit jemandem zu telefonieren, oder ein Loch in die Wand zu bohren, oder sonst etwas zu tun, was den Rhythmus des Partners stören könnte.

„Man muss das gar nicht werten“, denke ich unsinnigerweise. Nur bei Ehepaaren mit fünfzig Prozent Ausländeranteil geht ab und zu die Fremdenpolizei vorbei, um zu prüfen, ob das Glück echt ist. Nun, vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, eine allgemeine Zufriedenheitspolizei aufzustellen, da doch überall von Prävention die Rede ist. Ich würde mich gerne als Inspektorin zur Verfügung stellen.