Warum ich die Welt nicht mag oder sie mich dazu zwingt, sie nicht zu mögen

Diabolisch

 

Der Fernsehkrimi bedeutet Nervenkitzel, Schauer und Schrecken und der Triumph des Guten über das Böse. Diese Regel verletzte der Fernsehfilm „Operation Zucker“, aus dem Jahr 2012. Der Film handelt von Kinderprostitution. Menschenhändler kaufen die Kinder in Rumänien ein, und führen sie in Berlin ihrem illustren Kundenstamm, bestehend aus Politikern und Richtern, zu. Am Ende gelingt es der Kommiassarin Karin Wegemann und der Staatsanwältin, gespielt von Senta Berger, zwar, die Verbrecher zu überführen. Der Menschenhändler Ronnie, der als Informant absprang, da ihm der Zeugenschutz verwehrt wurde, ist aber längst wieder auf dem Weg nach Rumänien, und Fee, das geschändete Mädchen, die den Menschenhändlern zusammen mit Bran kurz entkommen konnte, ist erneut in den Händen der Verbrecherbande. Bran hingegen schaut den Zuschauer von einem U-Bahnsteig aus mit leeren Augen an.

Das ist die Originalversion, die dem Jugendschutz „zum Opfer fiel.“ Dem Genre eigen, bildet der Krimi auch hier eine soziale Wirklichkeit ab. Die Kommissarin betrinkt sich nach einem ersten Erfolg mit ihrem verheirateten Arbeitskollegen, was in einer wilden Knutscherei endet. Das Wetter ist wie immer im Krimi – trüb, Schnee fällt. Ein Kinderschändermarkt wird detailliert in Szene gesetzt. Kinder in Theaterkostümen präsentieren sich mit angsterfülltem Blick auf einer Bühne. Dem Zuschauer wird der Code erklärt, der auf Spielplätzen auf die Ware Kind verweist. Der Krimi gerät selbst zur Werbeveranstaltung für Kindesmissbrauch. Die Kamera richtet den Blick auf den Kinderkörper aus der Perspektive des anonymen Täters. Der Zuschauer wird dadurch symbolisch zum Täter. Moralische Entrüstung? Fehlgeschlagen. „So systematisch und klar strukturiert, wie Kinderhändler ihr Geschäft organisieren, so verwandelt Kaufmann einen Sachverhalt in eine Geschichte, deren Ungeheuerlichkeit keinerlei Effekte benötigt, um zu rühren.“, schreibt Iris Alanyali in ihrer Besprechung vom 16.01.2013 in der Zombiewelt. Die oben beschriebene Kameraführung ist effekthaschend, nichts anderes. Niemand stellt die Frage, was daran so falsch ist, wenn die Fiktion sich kein annehmbares Ende mehr leisten kann, vor dem scheusslichsten Verbrechen resigniert oder noch schlimmer, dieses gar noch ästhetisiert wie oben skizziert.

Alanyali schreibt weiter: „Wer abschaltet, verpasst ein Fernseh-Ereignis. Nicht, dass Zwangsprostitution ein Tabubruch wäre…“ Man dürfte meinen, gerade in einer solch sensiblen Debatte wäre die Journalistin zu höchster Sensibilität und Sorgfalt verpflichtet. Aus Zwangsprostitution von Kindern, Zwangsprostitution zu machen, und diese als Fernsehereignis zu feiern, kann an Perversion nicht mehr überboten und schon gar nicht damit entschuldigt werden, dass Springer-Erzeugnisse ohnehin nicht ernst genommen werden müssen.

Der Online-Artikel ist über folgende zwei Sätze mit einem Spendeaufruf von Unicef verbunden: „Soweit die Fakten. Aber die Übergänge zum Film sind fliessend.“, nachdem die Preise für eine Kinderschändung genannt werden, darauf hingewiesen wird, dass die Kinder wenig zu essen bekommen, damit sie jünger aussehen. Auf der Unicef-Seite blickt uns schliesslich ein Baby mit einem Breimündchen an. Ist das an eiskaltem Zynismus zu übertreffen?

Es ist Zeit, diese grauenhafte Mediensprache als solche wahr und ernst zu nehmen. Die Behauptung von Alanyali, der Jugendschutz hätte mit der Beschneidung des apokalyptischen Endes ein Kunstwerk amputiert, ist schlicht unhaltbar.

Wir können etwas dagegen tun, wenn Politiker und Richter Kinder vergewaltigen. Und zwar nicht, indem wir an Unicef spenden. Wir müssen endlich erkennen, wann uns Fiktion als Wahrheit verklickert wird, und wann die Wahrheit als Fiktion abgetan wird. Wir müssen uns fragen, was unsere Wirklichkeit sein soll, wie WIR sie definieren. Bestimmt nicht so wie im Krimi. Das Wetter ist nicht immer düster. Wir waschen uns auch die Haare. Wir kennen unsere Nachbarn. Wir müssen unsere Nachbarn kennen. Wer neben uns lebt, und gegen unsere Gesetze verstösst, der ist nicht mehr unser Nachbar. Jemand wie ARD und Springer können nicht unsere Nachbarn sein, wenn sie durch besagte „Kunsterzeugnisse“ die Menschenwürde mit Füssen treten.