Salto mit Tasse

Was bin ich froh, habe ich gestern die Öde geküsst. Wie schnell lässt sich doch aus der Öde eine kleine Ode basteln! Wie gleicht doch die menschliche Seele einem Jo-Jo. Man muss ganz unten sein, um wieder hochzukommen, sich abwickeln, Gefühle, Gedanken, Pflichten, und was einem sonst noch fest hält, wie ein Teppich ausrollen, um daraus ein Trampolin entstehen zu lassen, das einem wieder hoch spickt.

Es ist die verdrängte Wut, die uns traurig und erschöpft macht, das war die Erkenntnis meines Saltos gestern! Zu einem ausgeglichenen Seelenhaushalt gehört regelmässiges Sich-Aufregen. Wut tut gut. Wut gibt auch dem Gegenüber das Gefühl, ernst genommen zu werden. Schauspieler sind zweifelsohne im Vorteil, sie holen die elementaren Gefühle regelmässig hervor. Wenn man denkt, man müsste wieder mal richtig wütend sein, wenn der letzte Wutausbruch über ein Jahr zurück liegt, und einem spontan keine Situation oder Person einfällt, auf die man seine Wut richten könnte, kann man auch den Haushalt zu Hilfe nehmen. Dabei geht es darum, das Zielobjekt mit der Wut im Bauch „anzustrahlen“. Ich habe diese Übung heute mit meinem schmutzigen Geschirr ausprobiert. Wie haben sich die Teller und Tassen unter meinem Lappen gewunden! Wie sind sie zusammen gezuckt unter meinen stillen Beschimpfungen. „Du kleines, schmutziges Glas, hast dich mit Sojamilch eingeschmutzt. Pfui!“ Oder: „Ja du armer Teller, hast Hummus abgekriegt? Dass du dich nicht duschen kannst, schämst du dich eigentlich nicht?“ Nun, meine Küche glänzt nach diesem kleinen Schauspiel.

Wenn ich schon in meiner Küche bin, möchte ich gleich noch ein paar vegane Erkenntnisse kundtun. Auslöser meiner Ernährungsumstellung war eigentlich meine Skepsis und mein Widerwille der veganen Lebensweise gegenüber. Ich hegte den Verdacht, dass sich Veganer ein gutes Gewissen erfressen, da sie die Welt ja ohnehin nicht ändern können. Ich habe mir die Dokus über die männlichen Küken angeschaut, über die armen Kälbchen, die von ihrer Mama getrennt werden und nie an ihrem Euter saugen dürfen, etc. Dann bin ich zum Schluss gekommen, dass nichts dieses Leiden rechtfertigt. Ich ass also fortan nur noch Pflanzen, mit zwei, drei Ausnahmen. Nach der letzten Ausnahme hatte ich Albträume: Ich sah Äffchen in Käfigen, Speckschwarten, die in dunklen Kellern von der Decke hingen, ich selbst strauchelte durch das Labyrinth, geführt von einem Lichtstrahl, der mir den Weg nach draussen wies. Nachdem die ersten Schwindelattacken, was anscheinend normale Entgiftungserscheinungen sind, vorüber waren, ging es mir FANTASTISCH. Die Haut wird reiner, die Verdauung besser, so gut, dass man zum eigenen Befremden Vorträge darüber halten möchte, das Gewicht geht runter, man gewinnt an Frohsinn…all die Klischees bewahrheiten sich. Das klingt nach einem Religionsersatz? Ja! (Wenn wir davon ausgehen, dass sich alle Glaubenssysteme bewahrheiten, Kraft dem Wahrnehmungsfilter, der ihnen zu Grunde liegt…) Mit zunehmender Zufriedenheit schwindet auch das Bedürfnis nach Konsum, nach Bier trinken, Kaffee trinken, Klamotten kaufen. Stattdessen wächst das Interesse an Hausmitteln, natürlichen Haarshampoos, die man selber herstellen kann, auf der Basis von Apfelessig oder Bier, kurz, man ist bei sich, vermehrt zu Hause, in der Küche, am Wut suchen…